Tischtennis-Verein hilft dem Syrer Mhamed Mhamed bei der Integration

Am Ziel einer langen Reise: Syrischer Tischtennisspieler hat ein neues Zuhause

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Mut trifft auf Hilfsbereitschaft

Tischtennis-Verein hilft dem Syrer Mhamed Mhamed bei der Integration

Schloß Holte – Stukenbrock (WB). Ein knappes Jahr ist es her, seit der Syrer Mhamed Mhamed mit einem Tischtennisschläger und Turnschuhen in die kleine Sporthalle der Pollhansschule spazierte, als Mitglieder des Tischtennis-Vereins Schloß Holte-Sende (TTSV) trainierten. Damals war er gerade als Asylsuchender in Schloß Holte Stukenbrock angekommen.

Inzwischen durfte seine Frau Christina Khalaf im Rahmen der Familienzusammenführung nachkommen, denn Mhamed ist jetzt anerkannter Asylant und hat zunächst ein dreijähriges Bleiberecht.

Ein Märchen, nennt Martin Aßmann die Geschichte Mhameds, zumindest seit seiner Ankunft vor einem Jahr. Der Ehrenvorsitzende des TTSV hat sich von der ersten Minute an um Mhamed bemüht, ihn auf den Behördengängen begleitet und war auch dabei, als Christina vor vier Wochen auf dem Düsseldorfer Flughafen eintraf. »Das war sehr emotional«, sagt Aßmann. Alle hatten Tränen in den Augen. Das junge Paar (23 und 27 Jahre alt) hatte vor seiner Trennung die Ringe getauscht und tauschte sie auf dem Flughafen zurück.

»Mhamed (ausgesprochen: Mohammed) hat auch jetzt feuchte Augen, als Martin Aßmann die Geschichte erzählt. Sein Deutsch reicht inzwischen aus, um zu seinem Freund zu sagen: Martin, danke, du hast uns sehr geholfen«.

Mhamed war vom ersten Tag an so motiviert, dass ich gesagt habe: Das muss man unterstützen, erzählt Martin Aßmann. Der junge Mann habe sich aktiv bemüht, sich in der Stadt einzuleben. Mittel zum Zweck war dabei der Tischtennis-Sport. »Das wird in Syrien eigentlich selten gespielt«. Mhamed hat es wohl in der Schule gelernt, er hat Abitur, vielleicht auch beim Militär, wo er später desertierte.

Als er beim Vereinstraining des TTSV auflief, folgte einem Hinweis von Frank Schmidt, dem Sachbearbeiter für Asyl im Rathaus. Zur Verständigung hatte er eine Übersetzungs-App für Arabisch-Deutsch auf dem Smartphone. Dass Mhamed nach anfänglicher, ostwestfälischer Skepsis vom Verein aufgenommen wurde, eine Spielberechtigung vom Tischtennisverband erhielt und dann zunächst in der sechsten, mittlerweile vierten Mannschaft des Vereins spielt, das berichtete das WESTFALEN-BLATT schon vor einem Jahr.

Als mutig bezeichnet Aßmann Mhameds Verhalten, und deshalb hat er ihm auch so gerne geholfen. »Die Behördengänge, das ist wirklich nicht einfach«, sagt Aßmann, dabei kennt er als pensionierte Finanzbeamter eigentlich die behördlichen Abläufe. »Alle haben sich größte Mühe gegeben, sei es das Sozialamt, das Jobcenter, sogar der Bürgermeister hat sich eingebracht«. Auch vonseiten des Vereins gab es vorbehaltlose Hilfe, was Aßmann lobend erwähnt.

Trotzdem: »Das könnte alles schneller gehen«. Ein Jahr habe das Anerkennungsverfahren gedauert, ein verlorenes Jahr, findet Aßmann, denn Mhamed darf erst jetzt, nach seiner Anerkennung, an einem Integrationskurs teilnehmen. Aber Mhamed wäre nicht Mhamed, hätte er sich zwischenzeitlich nicht schon selbst bemüht, die Sprache wenigstens ein bisschen zu lernen. Er hat es geschafft, an einem Deutschkurs der Diakonie in Brackwede teilzunehmen, obwohl man da eigentlich gar nicht für ihn zuständig ist.

»Mit Syrien bin ich fertig«, sagt der junge Mann. Sein Ziel: Eine Ausbildung zum Kfz-Mechatroniker in Deutschland. Den Führerschein hat er schon, allerdings nur einen syrischen, der hier nicht gilt, wieder so ein Problem. Christina Khalaf hat in Syrien vier Semester Landwirtschaft studiert und möchte dieses Fachgebiet auch in Deutschland weiterverfolgen. Alle hoffen, dass die Anerkennung bei ihr schneller durchkommt, damit die beiden den Integrationskurs vielleicht zusammen besuchen können. Wenn das dreijährige Bleiberecht abläuft, könnten die beiden einen Einbürgerungsantrag stellen.

Flucht über Istanbul

Mhamed Mhamed stammt aus der nordsyrischen Stadt Qamishli. Sein Vater hatte dort ein Furhunternehmen. Er wurde zum Militär eingezogen, desertierte aber, weil er in den Bürgerkriegswirren seine Familie nicht allein lassen wollte. Gleichzeitig wollte die PKK ihn abwerben und rekrutieren. »Er ist zwischen die Fronten geraten und hat keinen anderen Ausweg als Flucht gesehen«, erzählt Martin Aßmann. Die Flucht führte ihn zunächst nach Istanbul, später nach Bielefeld. Nach dem Aufnahmeverfahren wurde er Schloß Holte – Stukenbrock zugewiesen. Auch Christina, die er schon in Syrien geheiratet hatte, seine Eltern und weitere Familienmitglieder haben es nach Istanbul geschafft. Nachreisen im Rahmen der Familienzusammenführung durfte aber nur die Ehefrau.

Mhamed hofft, dass seine Eltern und Geschwister es auch nach Deutschland schaffen. Einige Familienangehörige leben schon in Hagen. Dort wollte er anfänglich auch hin, aber jetzt hat er in Schloß Holte – Stukenbrock so viele Freunde, dass er hier bleiben will.

Westfalen-Blatt, Artikel vom 16.07.2015

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Am Ziel einer langen Reise

TTSV Schloß Holte-Sende: Syrischer Tischtennisspieler hat ein neues Zuhause

Von AStrid Plaßhenrich

Schloß Holte-Stukenbrock. Christina landet an einem Freitagmorgen Ende Juni in Düsseldorf. Sie hatte ihren Mann Mhamed seit dreieinhalb Jahre nicht gesehen. Beide mussten aus ihrer Heimat Syrien fliehen. Getrennt. Nun die Wiedervereinigung. Endlich. Christina weint. Mhamed weint. Und Martin Aßmann muss ebenfalls weinen. Der Ehrenvorsitzende des TTSV Schloß Holte-Sende ist überwältigt von der innigen Zweisamkeit in der riesigen Flughafenhalle. Zusammen fahren die drei zum neuen zu Hause von Mhamed und Kristina: nach Schloß Holte-Stukenbrock. Es ist eine Geschichte über eine gelungene Integration.

Christina und Mhamed tauschen direkt am Flughafen noch einmal ihre Ringe. Als Zeichen ihrer Liebe, als Zeichen der Wiedervereinigung. Die Zeit des Hoffens, des Bangens ist endlich vorüber. Mhamed Mhamed hat genauso lange wie seine Frau Christina Khalaf auf diesen Augenblick gewartet. Martin Aßmann ist mit ihm zum Flughafen gefahren. Denn sein syrischer Führerschein ist in Deutschland nicht gültig. "Mhamed hat Verwandte, die in Hagen und Mönchengladbach leben. Die wären gerne mitgekommen, um Christina zu begrüßen. Aber das wollte Mhamed nicht. Er wollte den Augenblick für sich und seine Frau haben", erzählt Martin Aßmann. Dass Mhamed den Ehrenvorsitzenden als Fahrer gewählt hat und nicht einen seiner Verwandten, zeigt, welch ein großes Vertrauen zwischen dem 27-jährigen Syrer und dem 66-jährigen Deutschen in den zehn Monaten, in denen sie sich nun kennen, entstanden ist.

Mhamed und Christina durften jetzt eine kleine Wohnung in Schloß Holte beziehen. Er ist inzwischen anerkannter Asylant - nach einem mehrmonatigen bürokratischen Akt. Erst jetzt darf der Syrer einen neunmonatigen Deutschkursus besuchen. Danach möchte er gerne eine Ausbildung als Kfz-Mechaniker beginnen. Seine Frau hat in Syrien vier Semester Landwirtschaftsbau studiert, bis der syrische Bürgerkrieg auch sie zwang, zu flüchten. Die 23-Jährige muss nun die bürokratischen Hürden nehmen, die ihr Mann bereits gemeistert hat. Sie würde gerne ihr Studium wieder aufnehmen. Die Ziele sind groß. Das wissen die beiden. Aber sie sind nicht unerreichbar. "Mhamed ist unglaublich zielstrebig und geht die Dinge sehr ernsthaft an", sagt Martin Aßmann, "die beiden wollen ihre Chance hier unbedingt nutzen." 

Rückblende: Es ist im vergangenen September, als Mhamed Mhamed plötzlich beim Tischtennis-Training des TTSV Schloß Holte-Sende auftaucht. Er hat alte Turnschuhe an und einen Schläger in der Hand. Er setzt sich auf eine Bank und beobachtet das Geschehen. "Frank Schmidt hat mir gesagt, wo ich hier Tischtennis spielen kann", sagt Mhamed. Frank Schmidt von der Stadtverwaltung betreut die Flüchtlinge, die in Schloß Holte-Stukenbrock leben. "Herr Schmidt und Bürgermeister Hubert Erichlandwehr, das Ausländeramt und der Jobcenter haben uns immer schnell geholfen", sagt Martin Aßmann. Der 66-Jährige begleitet seit jenem Septembertag Mhamed zu vielen Behördengängen, hilft bei der Verständigung und beim Ausfüllen der komplizierten Anträge. "Dafür bin ich Martin sehr dankbar", sagt Mhamed und schaut ihn an. Aßmann mag das gar nicht hören. "Der gesamte Verein hat schließlich seinen Teil dazu beigetragen, dass Mhamed sehr schnell integriert wurde", sagt er. "Vor allem", betont Aßmann, "war es Mhamed selbst, der den ersten Schritt auf uns zugegangen ist. Das war sehr mutig und sehr bemerkenswert." Zunächst verständigen sie sich über eine App auf Mhameds Smartphone, die das Arabische ins Deutsche übersetzt und umgekehrt. Die braucht der Syrer jetzt nicht mehr so oft. 

Anfangs erzählt der 27-Jährige nicht, warum er flüchten musste. Er gibt noch nicht einmal seine Heimatadresse preis. Zu groß ist seine Angst. Nach und nach erzählt er aber seine Geschichte: Dass er nach seinem Abitur zum Militär gehen musste. Dass seine Familie in der Zeit der Bürgerkriegswirren immer mehr bedroht wurde und dass er desertierte, um sie zu beschützen. Dass ihn dann im Heimatdorf die kurdische Arbeiterpartei (PKK) in ihren Dienste drängte. Dass Mhamed ablehnte und fortan sowohl von der PKK als auch vom Militär bedroht wurde. Ihm blieb nichts anderes übrig, als zu fliehen. Vorher heiratete er noch seine Christina. 

Über Istanbul ging es nach Bielefeld, dann nach Schloß Holte-Stukenbrock. "Auf unserer Weihnachtsfeier hat mir Mhamed über Google Earth Bilder von seinem Heimatdorf gezeigt. Alles liegt in Schutt und Asche", sagt Martin Aßmann. 

Mhamed und Christina blicken jetzt nicht mehr zurück. Die beiden beginnen ein neues Leben. In Frieden. Zurück nach Syrien wollen sie nicht. "Unsere Kinder sollen hier aufwachsen", sagt Mhamed. Zum Leben in Deutschland gehört für ihn weiterhin das Tischtennisspielen. In der neuen Saison schlägt Mhamed mit der 4. Herrenmannschaft des TTSV in der 1. Kreisklasse auf. In der abgelaufenen Serie war es noch die 6. Mannschaft in der 2. Kreisklasse. 

Bei Mhamed geht es also aufwärts. Sportlich - aber vor allem auch privat.

Neue Westfälische, Artikel vom 17.07.2015